Assalamu alaikum wa Rahmatu Allah,
Vom Führer der Gläubigen, Abْ Hafs ‘Umar Ibn Al-Hattab, Allلhs Wohlgefallen auf ihm: Ich hörte den Gesandten Allلhs, Allلhs Segen und Friede auf ihm, sagen:
”Wahrlich, die Taten sind entsprechend den Absichten, und jedem Menschen steht das zu, was er beabsichtigt hat. Wer also seine Auswanderung um Allلhs und Seines Gesandten willen unternimmt, dessen Auswanderung ist für Allلh und Seinen Gesandten, und wer seine Auswanderung des irdischen Lebens willen unternimmt, es zu erlangen, oder wegen einer Frau, sie zu heiraten, dessen Auswanderung ist für das, um dessentwegen er auswandert.“ (Bu, Mu) Der Hadith weist darauf hin, daß die Absicht eines Menschen einen Maßstab für die Bewertung seiner Taten darstellt. Wenn die Absicht gut ist, so ist auch die ihr folgende Tat gut, und wenn die Absicht schlecht ist, so ist es auch die Tat. Existiert eine Tat in Verbindung mit einer Absicht, sind hierbei drei Fälle zu unterscheiden:
1. Man tut etwas aus Furcht vor Allلh (t); dies ist die Verehrung der Sklaven.
2. Man tut etwas aus dem Verlangen nach dem Paradies und der Belohnung Allلhs heraus; dies ist die Verehrung der Händler.
3. Man tut etwas aus Scham vor Allلh (t) und außerdem, um seine Pflicht zur demütigen Verehrung zu erfüllen und Dank abzustatten, und betrachtet sich selbst dabei trotzdem noch als nachlässig.
Bei alledem fürchtet man sich von Herzen, weiß man doch nicht, ob die Tat angenommen wird oder nicht. Dies ist die Verehrung der Freien, die der Gesandte Allلhs meinte, wo ‘ء’isa (r) zu ihm sagte, als er nachts immer wieder aufstand, bis ihn die Füße schmerzten:
”O Gesandter Allلhs! Nimmst du das auf dich, wo dir Allلh doch schon deine vorangegangenen und zukünftigen Sünden vergeben hat?“, und er darauf entgegnete: ”Soll ich denn kein dankbarer Diener sein?“
Auf die Frage, ob die Verehrung aus Furcht oder aus Hoffnung vorzuziehen ist, kann man antworten, daß der Imلm Al-Gazzلlyy, Allلh erbarme Sich seiner, sagte: ”Die Verehrung aus Hoffnung ist besser, weil die Hoffnung Liebe bewirkt, die Furcht aber Verzweiflung.“
Die drei genannten Gruppen von Taten können nur dann Geltung beanspruchen, wenn die ihnen vorausgehenden Absichten aufrichtig sind. Nun kann sich aber erstens der Aufrichtigkeit das Übel der Eitelkeit in den Weg stellen. Wer auf seine Tat stolz ist, dem wird ihre Entlohnung verloren gehen. Ebenso geht der Lohn demjenigen verloren, der hochmütig ist.
Im zweiten Fall wird die Aufrichtigkeit geschmälert, wenn man seine Tat aus dem gemeinsamen Verlangen nach dem Diesseits und dem Jenseits heraus begeht. Einige Gelehrte vertreten die Ansicht, daß eine solche Tat von Allلh (t) zurückgewiesen wird.
Als Beleg dafür führen sie folgenden Hadith-Qudsyy an:
”Allلh, der Erhabene, sagt: »Ich bin der unbedürftigste Teilhaber, und wer dann in einer seiner Taten einen anderen Teilhaber als Mich nimmt, dessen bin Ich ledig«.“
Dieser Auffassung schließt sich auch Al-Harit Al-Muhلsibyy in seinem Buch "Ar-Ri‘لya" (Die Obhut) an: ”Aufrichtigkeit ist, daß du etwas aus Gehorsam Ihm (Allلh) gegenüber willst und nicht aus einem anderen Grunde. Die Heuchelei besteht aus zwei Arten:
1. Man will durch gehorsames Verhalten nur das Wohlwollen der Menschen erhalten.
2. Man will dadurch sowohl das Wohlwollen der Menschen als auch das des Herrn der Menschen erreichen.
Beide Arten lassen die Tat vor Allلh verloren gehen.“ Diese Worte sind uns durch den Hafiz Abْ Nu‘aim in seinem Buch "Hilyatu-l-Auliyل’" (Schmuck derjenigen, die Allلh nahestehen) von einigen der Früheren überkommen. Manche führen als Beweis auch folgenden Qur’لn-Vers an:
”(…) Der Gewaltige, Der Hochstehende. Erhaben ist Allلh über das, was sie Ihm als Teilhaber zuschreiben.“ (Sura 59, Vers 23).
So wie Allلh (t) Hoch darüber steht, eine Gattin, Kinder oder einen Teilhaber zu haben, so steht Er auch darüber, eine Tat anzunehmen, bei der Ihm der Handelnde noch einen anderen Teilhaber hinzugesellt. Ist Er, der Erhabene, doch Groß, Größer, Hochstehend. As-Samarqandyy, Allلh erbarme Sich seiner, sagte: ”Was man für Allلh (t) tut, wird angenommen, was man jedoch um der Menschen willen tut, wird zurückgewiesen.“
Jemand verrichtet zum Beispiel das Mittagsgebet und beabsichtigt damit die Erfüllung seiner Pflicht Allلh (t) gegenüber, zieht aber dabei jeden Teil des Gebets in die Länge, nimmt jede Körperhaltung ganz genau ein und rezitiert mit schöner Stimme, um den Menschen zu imponieren.
Sein Gebet gilt als grundsätzlich angenommen. Aber das In-die-Länge-Ziehen und die schöne Haltung um der Menschen willen werden von der Annahme ausgeschlossen, weil derjenige beabsichtigt, damit den Menschen zu gefallen.
Als der Scheich ‘Izz Ad-Dيn Ibn ‘Abdissalلm nach jemandem gefragt wurde, der sein Gebet um der Leute willen in die Länge zog, gab er zur Antwort: ”Ich hoffe, daß diese seine Tat nicht ganz verloren geht, wenn die Teilhaberschaft nur im Äußeren der Tat liegt. Liegt sie jedoch in der Tat selbst, indem man das Pflichtgebet um Allلhs und der Leute willen verrichtet, so wird das Gebet nicht angenommen wegen der Teilhaberschaft in der Tat selbst.“
Ebenso kann die Heuchelei auch im Unterlassen der Tat bestehen. Al-Fudail Ibn ‘Ayyلd sagte: ”Das Unterlassen der Tat um der Leute willen ist Heuchelei, und ihre Ausführung um der Leute willen ist Teilhaberschaft. Aufrichtigkeit ist, wenn dich Allلh (t) vor beidem bewahrt.“
Dies bedeutet, daß einer, der sich entschließt, eine gottesdienstliche Handlung zu tun, und sie dann aus Furcht unterläßt, die Leute könnten ihn dabei sehen, ein Augendiener ist, weil er seine Tat um der Leute willen unterläßt. Betet man aber nicht vor den Leuten, sondern wenn man allein ist, so ist dies wünschenswert, außer beim Pflichtgebet, der Pflichtabgabe (Zakلh) oder beim Gebet jemandes, der als Gelehrter ein Vorbild gibt.
In diesen Fällen ist es besser, die gottesdienstlichen Handlungen öffentlich zu verrichten. Ebenso wie die Augendienerei die Tat zunichte macht, so geschieht dies auch, wenn sie herumerzählt wird; daß man also etwas für Allلh (t) unter Ausschluß der Öffentlichkeit tut, um es anschließend den Leuten kund zu tun.
Der Gesandte Allلhs sagte:
”Wer (von seinen guten Taten) herumerzählt, von dem erzählt auch Allلh herum, und wer (seine Taten) zur Schau stellt, den stellt auch Allلh zur Schau.“
Die Gelehrten meinen: Wenn es sich um einen Gelehrten handelt, den sich die Leute zum Vorbild nehmen, so ist nichts dagegen einzuwenden, wenn er den Leuten von seinen guten und frommen Taten erzählt, um sie damit anzuspornen, dergleichen zu tun. Al-Marzubلnyy, Allلh erbarme Sich seiner, sagte:
”Der Betende benötigt vier Eigenschaften, damit sein Gebet (zu Allلh) emporsteigt:
– die Gegenwart des Herzens,
– die Anwesenheit des Verstandes,
– die Unterwerfung der stützenden Kräfte und
– die Demut der Glieder. Wer ohne Gegenwart des Herzens betet, der ist ein unaufmerksamer Beter; wer ohne Anwesenheit des Verstandes betet, der ist ein unachtsamer Beter; und wer ohne Unterwerfung der stützenden Kräfte betet, der ist ein ungeschlachter Beter; und wer ohne Demut der Glieder betet, der macht es falsch.
Wer sich aber an diese Punkte hält, der betet vollkommen.“ ”Wahrlich, die Taten sind entsprechend den Absichten (…)“ Hiermit sind nur die Taten gemeint, die sich auf Dinge beziehen, die eine Erfüllung des Gehorsams gegenüber Allلh (t) darstellen, und nicht auf Dinge, deren Tun und Lassen einem freigestellt ist.
Al-Hلrit Al-Muhلsibyy sagte: ”Die Aufrichtigkeit kann nicht in etwas geübt werden, dessen Tun oder Lassen einem freigestellt ist, da es nichts enthält, mit dem man sich Allلh näher bringt und auch nicht zu etwas führt, was (Ihn) näher bringt, so wie die Errichtung eines Bauwerks zu keinem eigentlichen Zweck, sondern (nur) aus Gedankenlosigkeit. Hat sie aber einen Zweck, wie (es) bei Moscheen, Brücken oder Festungen (der Fall ist), so ist sie erwünscht.
In verbotenen oder verpönten Dingen kann ebenfalls keine Aufrichtigkeit geübt werden. Das ist so, als ob jemand etwas ansieht, was anzusehen ihm nicht erlaubt ist, und behauptet, er sähe es an, um über die Schöpfung Allلhs nachzudenken, oder wie das Anschauen eines Bartlosen, worin (ebenfalls) keine Aufrichtigkeit liegen kann, ja absolut nichts, was einem Allلh näher bringt.
Die Wahrhaftigkeit als Merkmal des Knechtes Allلhs liegt in der Ausgeglichenheit zwischen Heimlichkeit und Öffentlichkeit, Äußerlichem und Innerlichem. Die Wahrhaftigkeit bestätigt sich mit der Verwirklichung aller Lagen und Zustände, so daß die Aufrichtigkeit der Wahrhaftigkeit bedarf. Die Wahrhaftigkeit aber bedarf nichts (weiterem als ihrer selbst allein), weil der wirkliche (d.h. der wahrhaftige) Sinn der Aufrichtigkeit das Streben nach Allلh durch Gehorsam ist. Man mag zwar durch das Gebet nach Allلh streben, ohne aber dabei auf die Gegenwart des Herzens zu achten. (Dies wäre zwar aufrichtig, aber nicht wahrhaftig; denn:) Die Wahrhaftigkeit ist nun (geprägt durch) das Streben nach Allلh durch die gottesdienstlichen Handlungen zusammen mit der Gegenwart des Herzens. So ist jeder Wahrhaftige aufrichtig, nicht aber jeder Aufrichtige wahrhaftig. Dies bedeutet (zugleich) eine Verbindung und eine Trennung, weil er (d.h. der Wahrhaftige) sich von allem anderen als Allلh löst und durch die Gegenwart (des Herzens) mit Allلh in Verbindung tritt. Es bedeutet auch die Aufgabe alles (anderen) außer Allلh, das Aufgeben durch die Gegenwart vor Allلh, des Gepriesenen und Erhabenen.“ ”Wahrlich, die Taten (…)“
Das Verhältnis der Taten zu ihren Absichten kann die Gültigkeit der Taten, ihre Beurteilung, ihre Annahme oder ihre Vollkommenheit bestimmen. Letztere Meinung vertritt der Imلm Abْ Hanيfa, Allلh erbarme Sich seiner, nimmt aber diejenigen Taten davon aus, deren Unterlassung eine Sünde oder einen Verstoß darstellt, wie die Beseitigung von Verunreinigungen, die Zurückgabe von widerrechtlich angeeignetem oder geliehenem Gut, die Auslieferung eines Geschenks und dergleichen mehr. Die Gültigkeit dieser Taten ist nicht von der Absicht abhängig, wohl aber deren Belohnung von der Absicht, Allلh (t) damit näher zu kommen.
So empfängt man zum Beispiel Lohn dafür, wenn man seinem Reittier zu fressen gibt und dies in der Absicht tut, damit dem Befehl Allلhs nachzukommen. Hegt man aber bei der Fütterung des Tieres nur die Absicht, sein Eigentum zu erhalten, so erhält man dafür keinen Lohn. Ausgenommen davon ist das Pferd des Glaubenskämpfers, welches dieser für die Sache Allلhs hält. Selbst wenn das Tier gegen seinen Willen getränkt wird, wird er dafür belohnt, wie es in der Sahيh-Sammlung von Al-Buhلryy steht.
Ebenso verhält es sich mit dem Verhalten der Ehefrau gegenüber, dem Verschließen der Tür oder dem Löschen der Lampe beim Schlafengehen: Wenn man damit beabsichtigt, dem Befehl Allلhs Folge zu leisten, wird man dafür belohnt, andernfalls nicht.
Es ist wichtig zu wissen, daß die "Absicht" (arab.: Niyya) im Sprachgebrauch "Vorsatz" (arab.: Qasd) bedeutet.
Im islamischen Recht bezeichnet die Absicht den Vorsatz zu einer Handlung in Verbindung mit ihrer Ausführung. Hat man den Vorsatz, läßt aber dann davon ab, so nennt man ihn "Entschluß" (arab.: ‘Azm). Die Absicht erfüllt den Zweck, erstens zwischen Gewohnheit (arab.: ‘ءda) und gottesdienstlicher Handlung (arab.: ‘Ibلda) und zweitens zwischen verschiedenen Stufen der gottesdienstlichen Handlungen zu unterscheiden.
Beispiele für den ersten Unterscheidungszweck sind: Das Sitzen in der Moschee erfolgt gewöhnlich, um sich auszuruhen. Durch die Absicht aber, sich dorthin zum Gebet zurückzuziehen (arab.: I‘tikلf), wird das Sitzen zur gottesdienstlichen Handlung erhoben. Den Unterschied zwischen Gewohnheit und gottesdienstlicher Handlung macht also hier die Absicht aus.
Ebenso bezweckt man mit der Waschung (arab.: Gusl) für gewöhnlich die Säuberung des Körpers. Durch das Hinzutreten der Absicht, sich von ritueller Unreinheit zu befreien, wird die Waschung dagegen zur gottesdienstlichen Handlung gesteigert.
Der Unterschied besteht auch hier wieder im Fehlen oder Bestehen der Absicht.
Den Wert der religiösen Absicht beleuchtet folgende Aussage des Propheten, Allلhs Segen und Friede auf ihm, als er gefragt wurde, welche Motive zu kämpfen – Augendienerei, Begeisterung oder Tapferkeit – wohl gut für die Sache Allلhs seien, und er (der Prophet) darauf zur Antwort gab:
”Wer dafür kämpft, daß das Wort Allلhs an oberster Stelle steht, der kämpft für die Sache Allلhs.“
Beispiele für den zweiten Unterscheidungszweck von Absicht – Absicht als unterscheidendes Merkmal zwischen verschiedenen Stufen der gottesdienstlichen Handlungen – sind: Wenn jemand vier Rak‘a betet, kann er dabei die Verrichtung des Mittagsgebetes, aber auch die eines freiwilligen Gebets im Sinn haben. Der Unterschied liegt auch hierbei in der entsprechenden Absicht. Ebenso kann man mit der Freilassung eines Sklaven die Ableistung einer Buße (arab.: Kaffلra) für eine Sünde als auch etwas anderes, wie zum Beispiel die Erfüllung eines Gelöbnisses, bezwecken. Den Unterschied macht die auf verschiedene gottesdienstliche Handlungen ausgerichtete Absicht aus.
”(…) und jedem Menschen steht das zu, was er beabsichtigt hat.“
In diesen Worten steckt der Hinweis, daß bei gottesdienstlichen Handlungen weder Stellvertretung noch Bevollmächtigung anderer Personen mit der fremden beziehungsweise eigenen Absicht erlaubt sind.
Ausgenommen davon sind die Verteilung der Zakلh und die Schlachtung von Opfertieren, wobei die Bevollmächtigung eines anderen mit der Absicht zur Schlachtung oder Verteilung erlaubt ist, auch wenn man in der Lage ist, selbst die entsprechende Absicht zu fassen.
Hinsichtlich der Pilgerfahrt ist dies nicht gestattet; ebensowenig beim Bezahlen von Schulden. Bezieht sich die Zahlungpflicht auf einen Schuldner, so ist die Absicht dazu nicht nötig. Erstreckt sich die Zahlungspflicht aber auf zwei Parteien, so ist den betreffenden Personen die Absicht zur Schuldentilgung freigestellt.
Wenn zum Beispiel jemand, der zweitausend Mark Schulden hat und für eintausend Mark ein Pfand hinterlegt hat, dann eintausend Mark bezahlt und sagt: ”Das sind die tausend, für die ich das Pfand gegeben habe“, so hat er damit sein Versprechen eingelöst. Falls er bei der Bezahlung keine Absicht gefaßt hat, so kann er dies noch nachträglich tun und wofür er will.
”Wer also seine Auswanderung um Allلhs und Seines Gesandten willen unternimmt, dessen Auswanderung ist für Allلh und Seinen Gesandten, und wer seine Auswanderung um des irdischen Lebens willen unternimmt, es zu erlangen, oder wegen einer Frau, sie zu heiraten, dessen Auswanderung ist für das, um dessentwegen er auswanderte.“
Ursprünglich bedeutet "Hijra": Auswanderung, Meiden, Verlassen.
Im Sprachgebrauch der islamischen Geschichte kann "Auswanderung" mehrere Dinge beinhalten:
I. Die Auswanderung der Prophetengefährten von Makka nach Abessinien, als die Götzendiener dem Gesandten Allلhs Schaden zufügten, und sie zum Negus, Kaiser von Abessinien, flohen. Diese Auswanderung fand fünf Jahre nach der Entsendung Mu5ammads als Prophet statt.
II. Die Auswanderung von Makka nach Al-Madيna, die dreizehn Jahre nach der Entsendung des Propheten Muhammad, Allلhs Segen und Friede auf ihm, stattfand.
Es bestand damals die Pflicht für jeden Muslim in Makka, dem Gesandten Allلhs nach Al-Madيna nachzufolgen.
Nach Ibn Al-‘Arabyy haben die Gelehrten die Fortbewegung in zwei Bereiche gegliedert: Der erste Bereich der Fortbewegung bezieht sich auf die Flucht vor den üblen Dingen, der wiederum in sechs Kategorien unterteilt wird:
1. Der Auszug aus dem Gebiet des Krieges oder Unfriedens (arab.: Dلr Al-Harb) ins Gebiet des Islam (arab.: Dلr Al-Islam), wozu die Pflicht bis zum Tage der Auferstehung bestehen bleibt und nur durch die Eroberung des Dلr Al-Harb und seine Umwandlung in das Dلr Al-Islam beendet wird. Ähnliches ereignete sich bei der Eroberung von Makka, wodurch die Pflicht zur Auswanderung zum Gesandten Allلhs nach Al-Madيna aufgehoben wurde. Dazu die Worte des Propheten, Allلhs Segen und Friede auf ihm: ”Nach der Eroberung gibt es keine Auswanderung mehr.“
2. Der Auszug aus dem Land der ketzerischen Lehren oder Neuerungen im religiösen Bereich (arab.: Bid‘a) (innerhalb des Islam) nach den Worten des Ibn Mلlik (r): ”Es ist keinem erlaubt, in einem Lande zu verweilen, in dem die Früheren der Muslime geschmäht werden.“
3. Der Auszug aus dem Land, in dem die verbotenen Dinge und Handlungen die Regel sind; denn das Streben nach Erlaubtem ist Pflicht für jeden Muslim.
4. Die Flucht vor körperlichem Schaden, welche eine Gnade von Allلh (t) für denjenigen darstellt, der an einem bestimmten Ort um sich selbst fürchtet, und den zu verlassen Allلh (t) ihm gestattet hat, um der drohenden Gefahr zu entgehen. Abraham, Allلhs Friede auf ihm, war der erste, der dies tat, als er sich vor seinem Volk fürchtete und sprach:
”Ich werde zu meinem Herrn auswandern.“ (Sura 29, Vers 26) Allلh (t) sagt im Qur’لn über Mose, Allلhs Friede auf ihm: ”Da zog er aus ihr (der Stadt) hinaus in Furcht und spähte umher.“ (Sura 28, Vers 21)
5. Der Auszug aus Furcht vor Krankheit aus einem ungesunden Land in ein Gebiet mit gesünderem Klima. So erlaubte der Gesandte Allلhs Leuten vom Stamme der ‘Uraina, hinaus aufs Weideland zu ziehen, als ihnen das Klima von Al-Madيna nicht zuträglich war.
6. Der Auszug aus Furcht vor Schaden am Vermögen, da das Vermögen des Menschen ebenso unverletzlich wie sein Blut ist.
Der zweite Bereich der Fortbewegung markiert die Suche nach etwas, das die Gelehrten in zehn Kategorien eingeteilt haben: Die Suche nach der Religion und nach den weltlichen Dingen, wobei sich die Suche nach der Religion ihrerseits in neun Arten untergliedert:
1. Die Reise zur Belehrung, von der es im Qur’لn heißt: ”Sind sie denn nicht im Lande umhergezogen, so daß sie schauen konnten, wie das Ende derer war, die vor ihnen lebten?“ (Qur’لn 12:109; 30:9; 35:44; 40:21, 82; 47:10). So war auch Du-l-Qarnain in der Welt herumgereist, um ihre Wunder zu sehen (s. Sura 18, Vers 83ff.)
2. Die Reise zur Pilgerfahrt nach Makka.
3. Die Reise zum Kampf für den Islam (arab.: Djihلd).
4. Die Reise zum Erwerb des Lebensunterhalts.
5. Die Reise zum Handel und zum Erwerb dessen, was über den Lebensbedarf hinausgeht. Sie ist erlaubt nach folgendem Qur’لn-Vers: ”Es ist keine Sünde für euch, danach zu streben, daß euer Herr euch Gunst erweist.“ (Sura 2, Vers 198)
6. Die Reise zum Studium.
7. Die Reise, um die heiligen Stätten aufzusuchen, den Worten des Gesandten Allلhs gemäß: ”Begib dich auf die Reise nur zu drei Moscheen: zur heiligen Moschee (in Makka), zur Moschee des Gesandten Allلhs (in Al-Madيna) und zur Al-Aqsل-Moschee (in Jerusalem, Al-Quds).“
8. Die Reise zu den Frontstellungen, um sich dort zum Kampf für den Islam bereitzuhalten.
9. Die Reise, um Brüder in Allلh zu besuchen. Der Gesandte Allلhs sagte:
”Ein Mann hatte sich einmal aufgemacht, um einen Glaubensbruder in einem anderen Ort zu besuchen. Da sandte Allلh einen Engel auf seinen Weg, der ihn (anredete und) fragte: »Wohin willst du?« »Ich will zu einem Bruder von mir hier an diesem Ort.« Der Engel fragte weiter: »Mußt du ihm eine Wohltat erwidern?« »Nein, sondern ich liebe ihn nur in Allلh.« Darauf gab sich ihm der Engel zu erkennen mit den Worten: »Nun, ich bin von Allلh zu dir gesandt (um dir mitzuteilen,) daß Allلh dich liebt, so wie du ihn (d.h. deinen Glaubensbruder) liebst.«“ (Überliefert in den Sammlungen von Muslim u.a.)
III. Die Auswanderung der arabischen Stämme zum Gesandten Allلhs, um die Lehre des Islam zu empfangen und um dann zu ihren daheimgebliebenen Stammesgenossen zurückzukehren und sie ihrerseits im Glauben zu unterweisen.
IV. Die Auswanderung derjenigen Makkaner, die den Islam angenommen hatten, um zum Propheten, Allلhs Segen und Friede auf ihm, zu kommen; und ihr Rückzug zu ihren Leuten in die Heimat.
V. Die Auswanderung aus dem Gebiet des Unglaubens (arab.: Dلr Al-Kufr) ins Land des Islam. Dem Muslim ist der fortwährende Aufenthalt im Dلr Al-Kufr untersagt. Al-Mawلrdyy sagte: ”Hat er dort Frau und Familie, und ist es ihm möglich, seine Religion offen zu zeigen, so bringt es ihm nichts, auszuwandern, weil der Ort, an dem er sich aufhält, dadurch zum Dلr Al-Islam geworden ist.“
VI. Das Fernbleiben des Muslims von seinem Glaubensbruder für eine längere Frist als drei Tage und Nächte ohne gesetzlich anerkannten Entschuldigungsgrund. Diese Art von Verlassen ist verpönt (arab.: makrْh) für einen Zeitraum bis zu drei Tagen und für einen längeren als drei Tage verboten (arab.: Harلm), außer, wenn es notwendig ist.
VII. Das Meiden der Ehefrau, wenn ihre Widerspenstigkeit erwiesen ist, nach dem Qur’لn-Vers: ”Und meidet sie im Ehebett.“ (Sura 4, Vers 34). Dazu gehört auch, daß man sündhaftes Volk im Wortwechsel und durch Fernbleiben meidet, und daß man den Friedensgruß erwidert und beginnt.
VIII. Das Meiden dessen, was Allلh (t) verboten hat. Dies ist die allgemeinste Form des Sich-Fernhaltens. ”(…) Wer also seine Auswanderung um Allلhs und Seines Gesandten willen unternimmt (…)“ Wer mit der Absicht und mit dem Vorsatz, Allلh (t) zu dienen, auswandert, dessen Auszug erfolgt nach dem Gesetz und zu Recht um Allلhs und Seines Gesandten willen. ”Und wer seine Auswanderung um weltlicher Dinge willen unternimmt, sie zu erlangen (…)“
Es wird berichtet, daß ein Mann von Makka nach Al-Madيna auswanderte. Er tat es aber nicht, um die Vorzüglichkeit der Auswanderung Allلhs wegen anzustreben, sondern er tat es, um eine Frau namens Umm Qais zu heiraten. So wurde er der "Auswanderer zu Umm Qais" genannt.
Wendet man dagegen ein, daß der Mann doch Allلhs wegen ausgewandert sei, da die Heirat ja zu den Dingen gehöre, die das göttliche Gesetz vorsehe und nicht zu den weltlichen Dingen, so lautet die Antwort darauf, daß dieser Mann sich nicht offen zur Heirat als wahrem Reisegrund bekannte, sondern vorgab, die Auswanderung Allلhs und Seines Gesandten wegen zu unternehmen. Weil er seine wahre Absicht verbarg und eine andere vortäuschte, verdient er Tadel und Vorwürfe.
Analog dazu verhält es sich mit jemandem, der angeblich zur Pilgerfahrt aufbricht, dabei aber in Wirklichkeit bloß den Handel im Sinn hat. Ebenso ist es mit dem Hinausziehen zum Studium, wenn man damit eigentlich nach einer leitenden Position oder einem Verwaltungsposten strebt.
”(…) dessen Auswanderung ist für das, um dessentwegen er auswandert.“
Dieser Vers läßt notwendigerweise folgern, daß, wer statt Pilgerfahrt, Handel und Besuch der Heiligen Stätten anstrebt, keinen Lohn dafür bekommt. Der Hadith muß aber so verstanden werden: Wenn die Pilgerfahrt der Anlaß zum Handel ist, steht dem Pilger der Lohn für die gottesdienstliche Handlung zu, da der Handel nur eine Folge der Pilgerfahrt ist und nicht ihr Grund. Der Lohn fällt in einem solchen Fall aber geringer aus, als wenn jemand allein um der Pilgerfahrt willen hinauszieht. Ist der Beweggrund zur Fahrt beides, Pilgern und Handel, so kann man annehmen, daß man seinen Lohn erhält, weil man nicht nur der weltlichen Dinge wegen ausgezogen ist. Man kann aber auch das Gegenteil vermuten, weil man Taten für das Jenseits mit solchen für das Diesseits verbunden hat. Aus diesem Hadith geht klar hervor, daß der Vorsatz die Beurteilung der Tat bestimmt.
Wenn nun jemand beides, Diesseitiges und Jenseitiges beabsichtigt, so können wir nicht sagen, er habe dabei nur weltliche Dinge vor Augen gehabt.
Aber Allلh (t) weiß es am besten.
wa alaikum salam wa Rahmatu Allah